WS 1993/94 - Praxissemester in London
Erfahrungen während meines Praxissemesters
Das Unternehmen, kurz BTS genannt, stellt Telefonvermittlungsanlagen mit zahlreichen zusaetzlichen Verwaltungsfunktionen her. Dazu werden Computersysteme zugekauft, durch entsprechende Schnittstellenkarten erweitert, mit der entwickelten Software ausgestattet und abschliessend beim Kunden installiert. Auch die Wartung der Anlagen sowie die Kundenbetreuung gehoeren zu den von BTS angebotenen Dienstleistungen.
Meine Betreuung innerhalb der Firma war hervorragend. Aufgrund der ueberschaubaren Groesse des Unternehmens kam der Kontakt zu fast allen Mitarbeitern recht schnell zustande und ich fuehlte mich sofort vollkommen in das Team integriert. Wenn Fragen oder Probleme, sowohl bezueglich der Taetigkeit, als auch aus dem privaten Bereich auftraten, waren alle Kollegen sofort zuvorkommend und sehr hilfsbereit. Fuer die 6 monatige Dauer meines Praktikums bekam ich insgesamt 2000£ (ca. 5000.-DM) die monatlich, zuerst durch Scheck, spaeter durch Ueberweisung auf mein Konto ausbezahlt wurden. Nach Abzug der monatlichen Miete von 230£ (warm) blieb fuer Nahrungsmittel und den sonstigen Lebensunterhalt jedoch nicht mehr viel uebrig. Eine genauere Aufstellung der Ausgabe ist Bestandteil dieses Berichtes.
Die Finanzierung meines Auslandaufenthaltes konnte ich somit nur mit Hilfe Ihres Stipendiums bewaeltigen wofuer ich mich an dieser Stelle recht herzlich bedanken moechte. Mein Dank richtet sich hierbei besonders an den Stiftungsvorstand, an die Leiterin des Akademischen Auslandsamtes, Frau Miehle, und an alle die dieses Stipendium moeglich machten.
Um die finanziellen Angelegenheiten einfacher zu gestalten, habe ich am Anfang meines Aufenthaltes ein Konto eroeffnet, was jedoch erst moeglich war, nachdem die Firma als Buerge dafuer einstand. Die Bank betrachtet mich als Auslaender (EG??) und verlangt deshalb Sicherheiten.
Die Betreuung durch die Greenwich University war nicht sehr umfangreich. Am ersten Tag wurde ich am Flughafen von Mr. Smith abgeholt und zur Wohnung nach South Croydon gefahren. Er ueberliess mir die notwendigsten Haushaltsgegenstaende sowie zwei Decken, damit war die Betreuung auch groesstenteils abgeschlossen. Ich war von Anfang an daran interessiert, mehr ueber die Lebensumstaende der Bevoelkerung, bzw. meinen englischen Kommilitonen zu erfahren, doch ohne den Brueckenschlag durch eine Verbindungsperson war dies nicht moeglich. In der Umgebung von Croydon befinden sich kaum Studenten und auch in Gaststaetten konnte ich trotz mehrmaligen Versuchen keinen Kontakt zur Bevoelkerung bekommen. Aus diesem Grund war es mir ein grosses Anliegen, Kontakt zu den Studenten nach Greenwich zu bekommen
Zwar hatte mir Mr. Smith bereits am Tag meiner Ankunft versprochen, sich um mein Anliegen, an einer Vorlesung in der University teilnehmen zu duerfen, zu kuemmern, doch diese Teilnahme kam nach mehrmaligem Nachfragen erst dann zustande, als Alan Soper im Januar 1994 die Initiative ergriffen hatte. Da ich kurz darauf meine Rueckreise nach Deutschland antrat, konnte ich die dort zu Studenten geknuepften Kontakte leider nicht weiter ausbauen.
Um die Unterbringung objektiv beurteilen zu koennen, ist es zunaechst notwendig, den generellen Unterschied im Lebensstandard zwischen Grossbritannien und Deutschland zu betrachten. Verwoehnt von hohen deutschen materiellen Anspruechen tut man sich zunaechst etwas schwer, mit einer, fuer unsere Begriffe "primitiv" eingerichteten Wohnung klarzukommen. Man kommt also nicht umhin, Dinge mit anderen Massstaeben zu messen, als man es aus Deutschland gewohnt ist. Ist man zu dieser Einsicht gekommen, so kann man sich mit etwas Idealismus und handwerklichem Geschick auch das Leben in englischen Wohnverhaeltnissen recht angenehm gestalten.
Mein Zimmer (damals und heute) befand sich im Dachgeschoss, war 16m2 gross und mit Teppichboden ausgelegt. Als Moebel standen eine Matratze mit Rost, eine Kommode, ein Nachttisch sowie Sessel und Tisch zur Verfuegung. Die Einrichtung hatte zwar ihre beste Zeit schon hinter sich, aber mit etwas Improvisation konnte ich auch mit diesem Umstand recht gut leben. Der Raum wurde mit einem Gasofen beheizt, welcher bei dem undichten Fenster auch immer in Betrieb war. Bad und Kueche teilte ich mit 2 weiteren Mitbewohnern. Haushaltsgegenstaende waren bei meiner Ankunft keine brauchbaren vorhanden. So musste ich mir, zusammen mit meinen Mitbewohnern, zuerst den noetigsten Kuechenbedarf kaufen. Da die Firma ueber keine Kantine verfuegt habe ich mich waehrend meines Auslandsaufenthaltes ueberwiegend selbst versorgt. Das Angebot an Nahrungsmitteln ist mit dem uns in Deutschland bekannten vergleichbar, und die Preise bewegen sich auf aehnlich hohem Niveau wie in deutschen Grosstaedten.
Die Verbindungen durch oeffentliche Verkehrsmittel sind sehr gut und teilweise im Vergleich zum Zollernalbkreis sogar guenstiger. Von East Croydon fahren Zuege im Viertelstundentakt nach London Victoria, zahlreiche Buslinien verbinden Croydon mit den umliegenden Orten und die U-Bahn ist aus dem Londoner Transportsystem ohnehin nicht mehr wegzudenken. Fuer Busfahrten im Grossraum Croydon erwarb ich den Buspass welcher 5,10£ (12,75 DM) pro Woche kostet und sich schon ab 12 woechentlichen Fahrten bezahlt macht. Fuer Fahrten nach London bietet sich das Traveler-Ticket an. Es kostet 3,70£ pro Tag und berechtigt zur beliebigen Benutzung von Zug, Bus und U-Bahn in allen 6 Tarifzonen. Croydon liegt in Zone 5, somit ist das Traveler-Ticket auch schon zur Fahrt nach London gueltig, welche einzeln bezahlt schon 2,40£ kosten wuerde.
Gegen Mitternacht stellen sowohl die U-Bahnen als auch die meisten Zug und Buslinien ihnen Betrieb ein, es stehen dann spezielle Nachtbusse zur Verfuegung. Alle Nachbusse starten am Trafalgar Square und verkehren im gesamten Grossraum London. Das Traveler-Ticket ist fuer diese Busse zwar nicht gueltig, doch der Fahrpreis nach Croydon betraegt nach Vorlage des Buspasses nur 1,50£, was im Vergleich zum Taxi immer noch sehr guenstig ist.
In den ersten Wochen meines Praktikums noch mit zahlreichen Luecken behaftet, verbesserte sich mein englischer Fachwortschatz waehrend der Gesamtdauer des Praktikums wesentlich. Die Tatsache, dass im Bereich der Informatik viele Begriffe in direkter, oder eingedeutschter Form aus dem englischen Wortschatz kommen, trug ebenfalls zur Verbesserung meiner Konversationsmoeglichkeiten im Team bei. Im Vergleich mit dem Allgemeinwortschatz hat der Fachwortschatz einen wesentlich geringeren Umfang, was vor allem beim Erstellen von Dokumenten und Schriftstuecken deutlich wurde, welche ueber das Fachliche hinausgehen. Da jedoch auch zahlreiche Dokumente dieser Art erstellt werden mussten, verbesserte sich mein Allgemeinwortschatz ebenfalls. Zusammenfassend sehe ich Aufgrund der waehrend meines Praktikums gemachten Spracherfahrungen keinerlei Schwierigkeiten, an einer englischsprachigen Fachdiskussion teilzunehmen.
Als wichtigste Lebenserfahrungen sehe ich die Erkenntnis ueber den hier ueblichen, unvergleichbar hohen, Lebensstandard und die bestehenden materiellen Ansprueche. Es ist nur durch den Vergleich mit anderen Gegebenheiten moeglich, die eigene Umgebung objektiv zu beurteilen. Dies wurde mir angesichts dieser gravierenden Unterschiede recht schnell bewusst. Hoeflichkeit hat in England noch einen weitaus hoeheren Stellenwert als bei uns. Selbst bei Begegnungen auf der Strasse sind die Menschen freundlicher und hoeflicher als bei uns. Allerdings ist es dadurch auch kaum moeglich, festzustellen, in wie weit diese Freundlichkeit aufrichtig gemeint oder nur als Fassade antrainiert ist. Erschreckend ist das Elend, hervorgerufen durch Arbeitslosigkeit und soziale Unzufriedenheit, mit welchem man taeglich auf der Strasse konfrontiert wird. Es scheint kaum ein funktionierendes soziales Netz vorhanden zu sein. Oft trifft man am Strassenrand bettelnde Obdachlose, die sicher noch juenger als 30 Jahre sind. Wichtig ist vor allem, an der Mentalitaet des anderen Landes interessiert zu sein und sich im Rahmen seiner Moeglichkeiten an die Gegebenheiten anzupassen. So faellt es einem wesentlich leichter, sich in der fremden Umgebung zurecht zu finden, bis diese ploetzlich gar nicht mehr so fremd ist.
Zusammenfassend war der Aufenthalt fuer mich eine positive Lebenserfahrung und ich habe zu keiner Minute bereut, diesen Entschluss gefasst zu haben. Man betrachtet die Welt doch mit anderen Augen, je mehr man davon gesehen hat und Klischees bzw. Vorurteile gegenueber anderen Menschen werden von der Realitaet korrigiert. Es war eine schoene Zeit und sicherlich nicht mein letzter laengerer Aufenthalt im Ausland.
Aufstellung ueber die Ausgaben:
Gesamtkosten: 4155,72 DM
Wie schon zuvor beschrieben, standen mir von dem Monatslohn nach Abzug der Miete noch ca. 1560,00 DM (260,00 DM/Monat) zur Verfuegung. So konnte ich die Gesamtkosten Dank des Stipendiums nahezu begleichen.
Kontaktadressen:
LONDON.HTM Version 2.3 Last changed 24.05.2015 wez